Wie man Erhaltenswertes spannungsvoll mit Modernem in Beziehung setzt

Was neu ist, ist gut? Nicht immer! In diesem Beispiel zeigen wir Ihnen, wie wir eine alte Einrichtung wieder zum Leben erweckten – und wie man selbst aus schwierigen Altbauten zusätzlichen Verkaufsraum herauskitzeln kann.


Seit 1674 gibt es die Amtsapotheke in Diez mit Privileg des Kurfürsten  und wird seitdem von den Wuths in der achten Generation geführt.

 

Mit der Zeit änderten sich die Anforderungen an eine Apotheke – im Gegensatz zu den Möbeln

Bisher hatte Apotheker Christian Wuth aus ökonomischen Gesichtpunkten unterlassen, nennenswerte Änderungen an der Einrichtung durchzuführen. Was ein Glück – jedoch erst auf den zweiten Blick.

 

Denn hinter Pillenschachteln und Wasserkästen verbarg sich eine traumhafte Klassizismus-Möblierung aus feinstem Kirschholz. Alt wie Methusalem, aber hervorragend erhalten.

 

Ein Blick auf die Details offenbart Qualitäten.

Aller Anfang ist schwer

Also ran ans Werk: Über die Zeiten wurden nachlässig Möbel beigefügt. Wo müssen diese mit neuen (also alten) Stilelementen und Drechselteilen überarbeitet werden? Neue, dünnere Fachböden mit rundgefrästen Massivanleimern anstelle der 19mm Spanplatten müssen eingebracht werden.

Umverteilung und Ergänzung der zuvor blockweise angeordneten Schubkästchen zu Übervorratsschüben in der "Dackelzone".

 

Ergänzung alter Drechselkapitelle
Auch die Schubkästen sollen bleiben

Die alten Wappen der Familie Wuth sowie des Kurfürsten wurden restauriert und farblich aufgefrischt. Die teilweise verspiegelten Rückwände der Schränke wurden gegen welche in einem abgrundtiefen Ultramarinblau ersetzt. Sie kontrastieren die Wärme des Kirschholzes.

 

Die Wappen wurden aufgefrischt

Den alten Handverkaufstisch gab es leider nicht mehr, der aktuelle Tresen konnte nicht bleiben. Ein barockes Tapetenmuster als Tiefenätzung in mattiertem Glas bildet nun die Front des neuen Tisches und ergibt mit seiner farblich akzentuierten Kantenbeleuchtung einen wunderhübschen Blickfang.

 

Den Fußboden aus Solnhofer Platten haben wir erhalten und um einen Mosaikstreifen ergänzt.

Die Fenster wurden von "Ballast" befreit – schließlich muß Apotheker Wuth sich nicht mehr in seiner Apotheke verstecken.

 

Fenster. Vorher-Nachher

Eine Stimme aus der Vergangenheit

Diez 1942. Im Hintergrund erkennt man die bis heute erhaltenen Regale.

Zwei Jahre nach dem Umbau schrieb uns Prof Dr. Hartwig Frankenberg. Zusammen mit alten Schwarzweißfotos erzählte er, dass er im Internet auf unsere Fotos gestoßen sei. Sein Vater arbeitete in der Amtsapotheke seit 1941 zunächst als angstellter Apotheker und übernahm danach bis Kriegsende zeitweise die Geschäftsführung, wenn der Großvater des heutigen Apothekers "im Felde" war. Die Eltern Frankenberg hatten eine kleine Wohnung in der zweiten Etage des Hauses. Zur Rückseite hin sei das elterliche Schlafzimmer gewesen, in dem der kleine Hartwig 1944 das Licht der Welt erblickte, während amerikanische Bomber auf dem Weg zur Zerstörung Frankfurts über Diez hinweg flogen.

 


Darfs noch ein wenig mehr sein?

 

Doch nicht nur die Möbel, sondern auch der Altbau hielt Herausforderungen für uns bereit. Rechte Winkel? Gerade Wände im Lot? Fehlanzeige! Wanddurchbruch? Besser nicht – auf dieser 50cm-Wand steht das Haus! Aber ein größerer Verkaufsraum wäre schon prima.

 

 

Direkt gegenüber dem Eingang nutzten wir einen der drei Durchgänge in das ehemalige Lager, um hier den Verkaufsraum in einer "Blase" zu erweitern. Damit diese Ecke nicht zu einem "Selbstbedienungsparadies" wird, liegen die Helferinnen-Arbeitsplätze direkt hinter einer Abtrennung aus gebogenen Glasscheiben.

 

Durchgang in die neue Offizinerweiterung
Arbeitsplätze hinter der Freiwahl

Vorne hui und hinten pfui? Nein! Auch die Hinterbereiche, Backoffice, Teeküche, Personal-WC und Chefbüro wurden neu gestaltet. Die "Kegelbahn" bekam endlich einen Parkettboden.

 

Entlang dem langen Flur sind die Hinterräume aufgereiht

Baustellen sind sexy!

Keine Disco, sondern Baustelle. Während der Umbau im vorderen Bereich voll im Gange war, wurde der Verkauf in den Hinterräumen weitergeführt. Damit der Weg durch den Staubtunnel nicht ganz so trist wurde, kam etwas buntes Licht hinzu. Es war richtig was los!

 

Beleuchtete Staubwand

Ins rechte Licht gesetzt

Auch am Licht wurde kräftig gefeilt. Bisher war von der Decke ein vergilbtes Plastikkontrukt abgependelt, das mit einem gekonnten Mix aus kaltweißen Neonröhren und warmweißen Halogenfunzeln die Ware im Dunkeln ließ und im übrigen Verkaufsraum ein Licht zum weglaufen kreierte.

 

Vorher: Abgependelte Leuchtstoffröhren geben der schönen, hohen Decke keine Chance.
Modellversuch im Büro. Wie schmal kann der Schlitz werden?

Wir entschlossen uns, die Decke um 20cm anzuhängen, um die nötige Einbautiefe zu bekommen. Der Raum war so schon hoch genug. Lediglich die Stuck-Hohlkehlen mussten wieder nachgebildet werden. Et voilà: Nur noch ein dezenter Lichtschlitz!

 

Die Lichtfuge verbirgt die Lichtqiellen und verbindet sie zu einem umlaufenden Band entlang der Regale

Im Zuge der Innenstadtsanierung in Diez wurden einige historisch bedeutsame Punkte ausgesucht, die auch nachts besonders in Szene gesetzt werden sollen. Die gesamte Fassade wurde anhand von historischen Aufnahmen saniert und es wurde ein Beleuchtungsprogramm festgelegt.

 

Die restaurierte Fassade
Als kleiner Scherz für Zwischendurch: Alternatives Beleuchtungskonzept

Katastrophenschutz

Alle 10 Jahre tritt die Lahn über die Ufer, dann steht auch die Apotheke unter Wasser. Deshalb liegt im Arbeitsbereich ein richtiger Schiffsteak mit versiegelten Fugen. Alle Unterschränke lassen sich herausnehmen, sodass nur noch die Regale an der Wand hängen. Der Kommissionierroboter steht in einer wasserdichten Wanne aus Edelstahl.

 

Eine Ansichtskarte zum letzten Hochwasser

Über uns

Wir sind Diplomingenieure, Architekten und Innenarchitekten die ihre Aufgaben nie als Möblierungsauftrag, sondern stets ganzheitlich betrachten. Wir scheuen uns nicht davor, neue Wege zu gehen und Altes in Frage zu stellen. Aber vor allem lieben wir die produktiv kommunikative Zusammenarbeit mit unseren Bauherren.

Lassen Sie sich mit der Leidenschaft, etwas Außergewöhnliches zu erschaffen, infizieren.

Rufen Sie uns an: 0 21 51 – 73 60 05